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Komponist Kim-Dirk Linsenmeier

Das MBO im Gespräch mit dem Mannheimer Komponisten Linsenmeier über die Entstehung seines Werkes „Aus der Unterwelt ins Himmelreich“

"Ohne Musik wäre das Leben für mich sehr, sehr langweilig"

Der Mannheimer Komponist Kim-Dirk Linsenmeier (Foto: Linsenmeier)
Der Mannheimer Komponist Kim-Dirk Linsenmeier (Foto: Linsenmeier)

Kim-Dirk Linsenmeier ist im Modernen Blasorchester Kurpfalz Oppau (MBO) sowohl als sympathische Profi-Aushilfe an der Posaune, als auch als Komponist bekannt. Schon am Jahreskonzert 2017 spielte das MBO seine Komposition „Fantasy Adventures“. Für das diesjährige Jahreskonzert hat sich Kim vom Konzert-Motto „Aus der Unterwelt ins Himmelreich“ zu einer neuen Komposition inspirieren lassen. Das MBO hat nun die Ehre, diese Uraufführung am Samstag, den 15. Juni 2019 im Oppauer Bürgerhaus zu präsentieren.Der 42-jährige studierte Englisch, Geschichte und Musikwissenschaften in Karlsruhe und Heidelberg. Zur Zeit lebt er in Mannheim und arbeitet als freischaffender Komponist, Arrangeur und Online-Musikredakteur.

Als Schwerpunkt seiner musikalischen Arbeit vertont er Filme, z.B. Naturdokumentationen, und er vertreibt im Eigenverlag (www.kdlmusic.de) seine sinfonischen Kompositionen.

Kerstin Appenzeller, Pressewart und Musikerin im MBO, traf Kim-Dirk Linsenmeier Anfang Mai 2019, um ihn zu seiner Arbeit als Komponist und Musiker, sowie zu seinem Musikschaffen zu interviewen.


"Die Musik der 70er in ihrer vollen Bandbreite prägt mich bis heute in meinem musikalischen Schaffen"

Hallo Kim, Musik machen, sei es komponieren oder selbst zum Instrument greifen, ist ja nicht einfach Beruf, sondern Berufung. Wie kamst du zur Musik? Erinnerst du dich an ein Kindheitserlebnis, das dich musikalisch geprägt hat?

Als kleiner Stöpsel von vier oder fünf Jahren habe ich vor dem Plattenspieler meiner Eltern gestanden. Da hörte ich Dvorák und Eric Clapton rauf und runter. Der anschließende Klavierunterricht fruchtete bei mir nicht so sonderlich. Doch mit elf Jahren entdeckte ich dann die Posaune für mich. Schnell entwickelte sich mein spielerisches Können und ich entwuchs dem örtlichen Musikverein. Während der Schulzeit sammelte ich meine Erfahrungen in unterschiedlichen Bigbands, Blas- und Sinfonieorchestern und auch Funk- und Soulbands. In der Studienzeit war ich weiterhin aktiv als Posaunist, das Komponieren stand damals noch gar nicht so im Vordergrund. 

Mein Lieblingsepoche sind die Siebziger Jahre (1970er). In diesem Jahrzehnt passierten musikalisch so viele spannende, gegensätzliche Entwicklungen. Ich weiß nicht, ob man das in meinen Kompositionen heraushört, vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar. Die unterschiedlichen Einflüsse sind z.B. Rhythmen, die an ein Metal-Gitarren-Riff erinnern.

 

Du sagtest gerade selbst, du bist sowohl Orchestermusiker als auch Komponist. Was ist da bei dir gerade die größere Passion?

Oh, da fällt es mir schwer, mich zu entscheiden. Mir ist beides wirklich wichtig, aber mittlerweile eine klare Tendenz zum Komponieren. Denn als Musiker muss man dann doch mal Stücke spielen, die man nicht so prickelnd findet, beim Komponieren kann ich mich individuell entfalten. 

 

Wann hast du dich entschlossen Komponist zu „sein“?

In den Anfängen meines Studiums stand das Komponieren weder auf dem Lehrplan noch für mich im Vordergrund. Dennoch hatte ich schon kleinere Arrangements für die Bläsersektion meiner Funkband geschrieben und auch so gingen mir ein paar Melodien und Ideen im Kopf herum. Mit einem Notensatzprogramm probierte ich für mich einige Sachen aus. Das handschriftliche Schreiben einer ganzen Partitur war mir allerdings zu aufwändig. Im Jahr 2010 ergriff ich die Initiative und machte Nägel mit Köpfen: Ich investierte in einen anständigen PC, professionelle Synthesizer-Software und ein Notensatzprogramm. 

"Diese ganzen Eindrücke vermengen sich unterbewusst in meinem Kopf und kommt dann quasi neu wieder raus als eigene Komposition, als kreativer Prozess."


Jetzt hat sich gerade mein klassisches Bild vom verträumten Komponisten am Klavier in Luft aufgelöst … Die Digitalisierung erleichtert dann so manchen Schritt im Kompositionsprozess?

Ja, um einiges. Mit einem Midi-Keyboard kann ich einzelne Stimmen direkt in das Programm einspielen und zusammensetzen. Zum Abschluss übertrage ich meine Komposition in ein Notensatzprogramm und erhalte dadurch eine vollständige Partitur. Die Nachbearbeitung, wie Dynamikstufen und einzelne Spielanweisungen, gebe ich dort noch händisch ein.

 Komponieren am Klavier? Nicht ganz...  (Foto: MBO)
Komponieren am Klavier? Nicht ganz... (Foto: MBO)

Auch beim Komponieren erlernen hat mir die Technik und das Internet entscheidend geholfen, mich weiter zu entwickeln. Wie gesagt, war mein Studium der Musikwissenschaften nicht auf Kompositionslehre ausgerichtet. Zwar habe ich dort die Grundlagen der Musiktheorie wie Tonarten und Modulationen erlernt, aber nicht das Arrangieren, Tonsatz und Instrumentierung, was fürs Komponieren essentiell ist. Das habe ich mir mittels Online-Kursen nach dem Studium beigebracht, dann auf speziellen Plattformen Demo-Kompositionen eingereicht und professionelles Feedback bekommen. Selbst den kreativen Prozess beim Komponieren beschleunigt die „Technik“, da das langwierige Partitur schreiben entfällt. Das Transkribieren und Kombinieren der einzelnen Stimmen geht damit viel direkter.

 

Als Komponist hast du deine Interessen Film und Musik verknüpft und auch schon Filme vertont. Worin liegt der Unterschied zwischen Filmmusikproduktionen und sinfonischen Orchesterwerken?

Klanglich ist der Unterschied gar nicht mal so groß. Man denke nur an Gustav Holst mit den berühmten „Planeten“. Eine geniale Suite, die eigentlich die Blaupause zu heutigen Filmmusiken ist. Wobei bei den Filmen die Bilder und Gefühle vorgegeben sind. Bei sinfonischen Stücken erzeugt der Komponist diese in den Köpfen der Zuhörer.

 

Hast du noch weitere musikalische Vorbilder?

Also richtig geil fand ich, so mit zwölf, als ich das erste Mal Star Wars - damals noch auf VHS Kassette - geguckt habe. Daher eindeutig: John Williams. Er ist ein wichtiger Komponist, der mich beeindruckt und beeinflusst hat. Kein anderer schafft es, so differenziert musikalisch Gefühle auszudrücken. Nicht einfach flach in Dur oder moll, sondern Schwingungen dazwischen klanglich darzustellen, wie beispielsweise Trauer mit aufkeimender Wut. Weitere Vorbilder im Filmmusikbereich wären James Horner oder Alan Silvestri, die machen ziemlich wuchtige Sachen. Dann bin ich auch auf die Klassik gekommen, Dvorak natürlich, sehr gerne, Debussy und Ravel, Strawinsky, auch die englischen Komponisten wie Ralph Vaughan Williams und Gustav Holst.

 

Um zurück auf deine aktuelle Komposition zu kommen: Wie bist du auf die Idee gekommen? Ich stelle mir vor, du sitzt mit deinem Musikerkollegen Dominique Civilotti abends gemütlich bei einem Bierchen…

(lacht)… ja, genauso war‘s. Dominique hat mir im Januar 2019 von eurem Jahreskonzert erzählt, und das Thema „Aus der Unterwelt ins Himmelreich“ hat mich persönlich sehr angesprochen. Ich hatte schon länger nichts mehr in Richtung sinfonische Blasmusik geschrieben und gerade Zeit, mich damit zu beschäftigen.

 

Und wie lange dauerte es, bis das Stück tatsächlich fertig war? Immerhin von dir maßgeschneidert für das MBO mit 35 Einzelstimmen.

Von Mitte Januar, also der ersten Idee bis Ende März. Runde zehn Wochen, schätze ich. Dann war ich ja mit dem Stück beim MBO in der Anspielprobe (hier der Link zum Artikel), um die Feinheiten und Tippfehler in der Partitur auszuschleifen. Bei der Bearbeitungszeit muss man natürlich auch beachten, wenn man „ausschließlich“ komponiert, ginge das auch schneller. Allerdings kommen auch andere Jobs, Urlaub und persönliche Begebenheiten in dieser Zeit hinzu. Sowas verlängert natürlich die Zeit, prägt aber auch die Stimmung meines Werkes mit.

Mein Werk habe ich in drei Ebenen eigens für das MBO geschrieben: Neben dem Titel sind auch Instrumentierung und Schwierigkeitsgrad individuell auf das MBO abgestimmt. Beim Komponieren habe ich darauf geachtet, dass es für keine Stimme in eine „unmögliche“ Tonlage geht und spielbar bleibt. So ungefähr an den Schwierigkeitsgrad 3+ (1 = Anfänger bis 5=Höchststufenorchester) angelehnt. Zudem habe ich auch mit Dominique Rücksprache gehalten. Lass uns doch die Midi-Version anhören. Dann haben wir den Eindruck präsent.

 

Wir sitzen in der Küche und lauschen der circa sechsminütigen PC-Version. Kim kommentiert einige Passagen und Themen, die mir so noch nicht aufgefallen sind.

Kim-Dirk Linsemeier (KDL) verlegt seine Werke selbst (Foto: MBO)
Kim-Dirk Linsemeier (KDL) verlegt seine Werke selbst (Foto: MBO)

"Als Posaunist macht es mir Spaß, wenn es knackig und wuchtig klingt, aber ich mag durchaus auch die zarten Töne."

In Kims Wohnungsflur steht ein Metallgitterregal mit zig (300?) CDs, und ein Regalboden ist auch für die richtigen Platten (Vinyl.LPS!) reserviert. „Es waren auch schon mal mehr – aber im digitalen Zeitalter ist vieles online (Spoitfy) verfügbar".


Neben dem vorgegebenen Titel, was hat dich sonst noch inspiriert? Und hast du Persönliches in dieses Werk gepackt?

Anhand des Titels war ein tiefer und düsterer Anfang für das Stück schon völlig klar. Neben der Tuba setze ich den Paukenrhythmus gleichsam als Todesmarsch ein, welcher sich mühsam voran schleppt. Dann, so meine Vorstellung, sollen sich Tempo und Lage nach und nach höher schrauben, um sozusagen aus der Unterwelt zu fliehen. Ich habe die Holzbläserläufe genutzt, um das Ganze voranzutreiben. Jetzt befindet sich das Stück zwar noch nicht im Himmel ,aber „mittendrin“ im irdischen Menschenleben. Mit einem folkloristisch angehauchten Thema wird die Lebensfreude und Leichtigkeit intoniert, da habe ich mich von der pentatonischen Tonsprache irischer Volksweisen inspirieren lassen. Dahinter steckt auch der Gedanke, dass sowohl heidnische als auch christliche Mythologie Himmel und Hölle ganz ähnlich beschreiben. In der Pentatonik kann man auch gleich die asiatischen Legenden mit einbeziehen. Die Thematik von Himmel und Hölle oder „gut und böse“, ist einfach ein kulturell übergreifendes Motiv. Die Fröhlichkeit im Mittelteil wird allerdings durch dramatische, dissonante Einschnitte unterbrochen. Im Leben schlägt immer wieder mal das Schicksal zu, und doch muss es weiter gehen. Auf dem dramatischen Höhepunkt des Lebens habe ich nochmal das Unterweltthema ins musikalische Geschehen fast brutal untergemischt. Oboe und Flöte führen mit einer pastoralen Melodie ins Himmelreich und stellen es im Nachklang ruhig und friedlich dar. Mit einem Tonartwechsel bestätigt sich der Wechsel ins Himmlische. Als grandioser Abschluss sind alle drei Themen nochmals unterschiedlich harmonisiert und miteinander verwebt. 

"Bei meinen Kompositionen ist mir wichtig, dass es in der Thematik und Harmonik eine Entwicklung gibt." 

Die Klangmotive sollen nicht immer nur wiederholt werden, sondern ich variiere gern bei den Dur- und Moll-Klängen mit beispielsweise Sekundreibungen als Schattierungen. Erst das macht die Musik so interessant und bewegend. Den Schluss habe ich mir auch anfangs anders vorgestellt, mit einem schnelleren Teil, das habe ich dann doch verworfen zu Gunsten des jetzigen Endes des Stückes."

 

Unser Dirigent Dominique kennt dich und deine Kompositionen außerordentlich gut. In einer Probe verriet er dem Orchester, dass deine Komposition „Aus der Unterwelt ins Himmelreich“ sehr viel erwachsener klingt, als deine bisherigen Stücke. Wie hat er das wohl gemeint?

(überlegt): Meine vorherigen Stücke sind tatsächlich verspielter, und damals wollte ich alles an Ideen reinpacken. Aber man sammelt ja so seine Erfahrungen. „Aus der Unterwelt ins Himmelreich“ klingt sicher geradliniger und ohne Schnörkel – dadurch dass bei mir im restlichen Leben ziemlich viel passierte und ich daher nicht so konsequent an dem Stück arbeiten konnte. Die Themen habe ich streng verarbeitet, da ist wohl auch Ernsthaftigkeit meiner persönlichen Umstände herauszuhören. Diese gewisse Schwere an manchen Stellen aus dem Leben habe ich in die Komposition mitgenommen. Mein jetziges Stück klingt erwachsener, weil ich es klarer und unmittelbarer in Melodik und Harmonik gegliedert habe. Mit jedem Stück gewinne ich an kompositorischer Erfahrung, besonders über die direkte Kommunikation mit Musikern und Dirigent.

 

In knapp drei Wochen ist es soweit, das MBO spielt die Uraufführung deines Blasorchesterwerkes „Aus der Unterwelt ins Himmelreich“. Bist du schon aufgeregt? Wie wirst du diesen besonderen Moment erleben?

Natürlich ist so eine Uraufführung für mich ein ganz besonderes Erlebnis. Bei vergangenen Uraufführungen konnte ich das als Komponist im Publikum hautnah erleben. Ein wenig surreal, es fühlt sich an, als stünde man neben sich und kann gar nicht richtig glauben, dass da sechzig oder mehr Musiker gerade die Musik spielen, die ich mir ausgedacht habe. 

Bei der jetzigen Premiere mit dem MBO habe ich ja neben der Komponisten- auch die Musikerrolle zu erfüllen. Ich sitze nun mitten im Geschehen und muss mich auf meine Posaunenstimme konzentrieren, so dass der Gesamteindruck hinten ansteht.

 

Das Konzertplakat für das Jahreskonzert des MBO mit der Uraufführung von Linsenmeier (Foto: MBO)
Das Konzertplakat für das Jahreskonzert des MBO mit der Uraufführung von Linsenmeier (Foto: MBO)

Und was kommt als Nächstes? Was für musikalische Projekte stehen in Zukunft an?

Da bleibe ich immer in Bewegung. Sinfonische Projekte stehen unmittelbar zwar nicht an, dafür bin ich momentan an unterschiedlichen Filmprojekten beteiligt. Im Sommer 2019 ist die Filmpremiere von „Faustdick“, einer deutschen Independent-Komödie. In Zusammenarbeit mit Antonio F. Lopes konnte ich hierfür zwanzig Minuten Filmmusik beitragen. Zudem komponiere ich an der Filmmusik zu einem Z-Movie, da tobe ich mich kompositorisch mit klassischen Horrormotiven aus. Ich möchte mir eine kleine Auszeit vom Komponieren gönnen, um mich auf mein zweites Standbein, das Programmieren, zu fokussieren.

 

Du bist ja an vielen Ecken unterwegs. Da wünsche ich Dir viel Erfolg bei deinen vielfältigen Projekten! Vielen Dank für das Gespräch und den umfassenden Einblick in deine Arbeit als Komponist. Wir sehen uns spätesten am 15. Juni auf der Bühne im Oppauer Bürgerhaus. Ich freu‘ mich auf ein tolles Konzert und eine gelingende Uraufführung. Es bleibt spannend!