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Von der Lust am gemeinsamen Musizieren

Nachgefragt bei: Dominique Civilotti, Dirigent

Dominique Civilotti, Dirigent des Modernen Blasorchesters Oppau beim Auftritt am Freiwilligentag 2020 (Bildrechte: MBO)
Dominique Civilotti, Dirigent des Modernen Blasorchesters Oppau beim Auftritt am Freiwilligentag 2020 (Bildrechte: MBO)

Interview-Reihe des Modernen Blasorchesters Oppau (MBO)

 

Dominique, wie kamst Du zur Musik? Wie war Dein musikalischer Werdegang?

Mein Vater ist als Musiker nach Europa gekommen und hat im lateinamerikanischen Bereich mit Folklore auf der Gitarre und später als Perkussionist und Sänger in Latin-Bands Musik gemacht. Wenn auch eher in südländisch populären Musikrichtungen, war mein Alltag stets von Musik geprägt. Als Kind war es normal für mich, mit auf Konzerte zu gehen und den Papa auf der Bühne zu sehen. 
Es war selbstverständlich, dass ich früh anfangen sollte, ein Instrument zu lernen. Zuerst habe ich mit Klavier angefangen und später zusätzlich Schlagzeugunterricht genommen. Entscheidend war für mich jedoch, erstmals im Schlagzeugensemble und kurz darauf im sinfonischen Jugendblasorchester der Musikschule zu spielen. Da habe ich erstmals erlebt, wie toll es ist, nicht immer alleine zu spielen, sondern mit vielen Menschen auf ein Ziel hin zu proben. Außerdem fand ich Gefallen an der orchestralen Musik, mit der ich mich vorher nur wenig beschäftigt hatte. Das war der Einstieg. Nach dem Abitur und dem Zivildienst begann ich dann an der Musikhochschule Mannheim klassisches Schlagwerk zu studieren und später Blasorchesterleitung.

 

Welche Menschen haben Dich neben Deinen Eltern noch musikalisch geprägt?

Das waren dirigentisch gesprochen im Grunde die zwei Dirigenten der Mannheimer Bläserphilharmonie (damals SJBO): Stefan Fritzen als ich Teenager war, und während des Studiums Markus Theinert.

Fritzen hat für die Musik gelebt und entsprechend ungehalten reagiert, wenn es unter den damals über 100 jugendlichen Musikern im Orchester so manche mit dem Üben oder der Disziplin nicht so ernst nahmen. Als junger Schlagzeuger in der letzten Reihe war ich durchaus für den ein oder anderen Wutausbruch mitverantwortlich. Ich hatte großen Respekt, aber die Pubertät war stärker. Trotz der atemberaubenden Konzerte und Orchesterreisen wurde mir erst kurz vor Fritzens Rente klar, dass ich das mit der Musik mein Leben lang machen möchte. Daher war er sehr prägend für mich. 

Im Schlagzeug-Studium hat mir dann die Mentalität so mancher Musikstudenten zu schaffen gemacht. Manche sprachen schon während Hochschulprojekten von ‚Dienst‘ und schienen nicht wirklich Freude am Spielen zu haben.  Außerdem förderte die Stellenlage in der Orchesterlandschaft ein gewisses Konkurrenzdenken, welches den Druck in den Vordergrund schob. Als der neue Studiengang Blasorchesterleitung in Mannheim geschaffen wurde, bewarb ich mich und bin bis heute unendlich froh, diesen Schritt gegangen zu sein. Theinert mit seiner ganz persönlichen, besonderen Art und Weise an die Musik heranzugehen, Unterricht zu gestalten und mit Orchestern zu arbeiten, hat mir und vielen Studienkollegen einen ganz anderen Blickwinkel auf die Musik eröffnet. Plötzlich ging es wieder um das Wesentliche. Nämlich das, was das Musizieren für jeden Einzelnen tun kann. Wenn man Musik liebt, muss man sie einfach machen. Ich möchte diese Zeit nicht missen.

 

Welche Rolle spielt die Musik heute in Deinem Leben?

Gerade jetzt, während des erneuten Lockdowns, bin ich fast jeden Tag im Proberaum, übe und bilde mich weiter. Das Schöne am Musikmachen ist ja auch, dass man nie fertig ist. Die meisten Leute, die für Musik leben, machen Musik, bis sie irgendwann umfallen. Das klingt nach einem guten Plan ;).

 

Was fasziniert Dich an sinfonischer Blasmusik? Du hättest ja auch Dirigent für Sinfonieorchester oder Chorleiter werden können.

Sinfonische Blasmusik geht ja weg vom Klischee der traditionellen Blasmusik. Es ist ein Bereich, in dem Komponisten Kunst für ambitionierte Laienmusiker, aber auch für Profis schreiben. Die Möglichkeiten der Sinfonischen Besetzung sind sehr groß. Das erste Orchester, in dem ich regelmäßig gespielt habe, war ein sinfonisches Blasorchester – und für ein Musikschulorchester auch auf einem wahnsinnig hohen Niveau. Ich habe gleich beim ersten Konzert Klangerlebnisse gehabt, die mich fasziniert haben. Und dadurch, dass ich in dieser Zeit auch sehr viel Literatur aus dem Bereich der sinfonischen Blasmusik kennenlernen durfte, war der Schritt zur Blasorchesterleitung der logischste. Es wäre dennoch gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht gerne auch mit einem Sinfonieorchester oder einem Chor arbeiten würde. 

Das Moderne Blasorchesters Oppau während einer Arbeitsphase (Bildrechte: MBO)
Das Moderne Blasorchesters Oppau während einer Arbeitsphase (Bildrechte: MBO)

Du hast das Moderne Blasorchester Oppau von der ersten Stunde an als Dirigent begleitet. Wie waren die Anfänge des Orchesters damals für Dich? 

Sehr spannend!!! Das ist ja jetzt schon fast 10 Jahre her. Das MBO wurde damals neu ins Leben gerufen. Ich war damals noch mitten im Studium und hatte zu dem Zeitpunkt bereits eine kleine Kapelle. Da habe ich dann einen Aushang in der Hochschule gesehen, dass in Oppau ein Dirigent gesucht wird. Auf die Frage nach einem Probedirigat habe ich erfahren, dass dieses Orchester noch gar nicht existiert, sondern erst gegründet werden muss. Der damalige Vorsitzende, Horst Bindner, hatte wirklich eine tolle Idee gehabt. Als es mit dem damaligen Spielmannszug immer schwieriger wurde, Nachwuchs zu finden, hat er gesagt: „Wir machen jetzt etwas ganz Neues.“ Aber da wusste man natürlich noch nicht, wo die Reise hingeht und wie ein modernes Blasorchester in der Region Anklang finden würde. 

Den Anfang hat eine kleiner Haufen von sieben bis zehn Musiker*innen gemacht. Erst mal mit sehr leichter Literatur, mit flexibler Besetzung und so. Ich habe mich natürlich über jeden Fortschritt und jede Errungenschaft, die wir gemacht haben, gefreut. Und ich hätte mir nicht träumen lassen, dass wir nach fast zehn Jahren schon so eine Größe erreicht haben würden - sowohl in Bezug auf die Spielerzahl als auch auf das Niveau. Bei den ersten Konzerten war noch nicht die Rede von einer vollständigen Besetzung, sondern, dass die Stücke zumindest ansatzweise nach dem klingen, was der Komponist sich vorgestellt hat. 

 

Wo steht das Orchester denn heute aus Deiner Sicht?

Heute – im Homeoffice! Nein, Spaß beiseite. Was mich die letzten Jahre immer beeindruckt hat, ist die Motivation im Orchester. Auch nach dem ersten Lockdown und den Freilichtproben auf der Wiese mit 3 Metern Abstand zwischen allen Musikern, wo uns abends die Kriebelmücken attackiert haben, war trotz der widrigen Umstände der Wille zu musizieren so groß, dass fast ausnahmslos alle Musiker in jeder Probe da waren. Von Kollegen weiß ich, dass dieser Spirit nicht überall so ausgeprägt ist. 

Vom Niveau her sind wir im Bereich der Oberstufe angekommen. Was die Literatur angeht, können wir daher ziemlich aus dem Vollen schöpfen. Es gibt natürlich immer noch Stücke, die eine Hausnummer zu groß sind, aber es ist nicht so, dass wir eingeschränkt sind. Es gibt in diesem Bereich der Schwierigkeit so viel schöne Literatur. Da merkt man auch: Den Musikern macht es Spaß, das Publikum ist erfreut und beeindruckt, und ich bin natürlich auch zufrieden, wenn ich merke, dass das „Feuer auf der Bühne brennt“.

 

Was möchtest Du in Deiner Probenarbeit vermitteln? Welche Werte sind Dir wichtig?

Mich hat sehr beeinflusst und beeindruckt, was ich bei Markus Theinert lernen durfte. Vieles davon verstehe ich auch erst jetzt, wo ich keinen Unterricht mehr bei ihm nehmen kann. Da kommen mir so manche Erkenntnisse, die ich damals nicht hatte.

Oft wird die Musik leider zu einer Art Sport gemacht, wo es nur noch um „höher, schneller, weiter“ oder „wir müssen die Besten sein“ geht. Und wer da nicht gut genug ist, der hat es dann nicht verdient, dabei zu sein. Ich möchte, dass die Musiker viel verschiedene Literatur kennenlernen und durchaus auch immer wieder mal ihre Grenzen austesten und ausdehnen. Aber immer mit dem Wissen, dass es nicht schlimm ist, wenn man es trotz vollem Einsatz nicht schafft. Wenn ich merke, jemand gibt sein Bestes, und es reicht nicht, um eine Partie perfekt zu spielen, dann lebe ich sehr gerne damit. Weil ich weiß, derjenige hat sein Bestes gegeben.

Wichtig ist doch erstmal, dass die Musiker zufrieden sind mit dem, was sie als Laien in ihrer Freizeit aus sich und ihrem Orchester herausgeholt haben. Ich weiß noch, wie stolz ich nach meinem ersten Konzert im Rosengarten so mit etwa 15 Jahren war, auch wenn es von außen betrachtet vielleicht nur ein bisschen Beckenwirbel und ein paar Triangelschläge waren, die ich spielen durfte. Aber der Stolz, etwas geleistet zu haben und Teil eines Ganzen zu sein, das hoffe ich, dass das jeder Musiker im Orchester hat oder entwickelt. Das MBO sehe ich in diesem Zusammenhang auf einem sehr guten Weg.

 

Du arbeitest im MBO mit uns Laienmusikern. Ist das für Dich leichter oder schwieriger, als Profis zu dirigieren?

Man kann das nicht wirklich vergleichen, und es hat beides seine Vor- und Nachteile. Jemand, der in einem professionellen Orchester spielt, hat unter vielen Dirigenten gespielt und sehr viel Zeit seiner Ausbildung damit verbracht, mehrere Stunden täglich zu spielen. Ein Profi hat natürlich, wenn es um Schwierigkeiten technischer oder klanglicher Art geht, einen schnelleren Zugang und kann Dinge vom Blatt spielen, die für einen Laien doch erst mal ein paar Stunden oder Tage Beschäftigung mit dem Material bedeuten. Allerdings führt der monetäre Zwang bei vielen Profiorchestern dazu, dass zwar das Orchester auf höchstem Niveau spielen kann, und in kürzester Zeit sehr viele Programm einstudieren kann, aber eben auch muss. 

Bei einem Laienorchester sind die Leistungsunterschiede sehr groß. Die einen hatten einen guten Instrumentallehrer, nehmen bis ins hohe Alter immer noch Unterricht und haben Erfahrung in verschiedenen Orchestern gesammelt. Andere wiederum haben erst wenige Jahre und für sich alleine gespielt. Die kommen dann ganz frisch in ein Orchester und müssen erstmal in dieses große Klanggebilde hineinfinden. Bei Laien muss man als Dirigent oft auch auf die Spieltechnik oder Ähnliches eingehen, was bei einem Profiorchester Grundvoraussetzung ist. Aber bei Laienmusikern ist es immer noch ihr Hobby. Das kann zwar für die Machbarkeit schwerer Werke ein Hindernis sein, weil die Musiker neben Beruf und Familie nicht viel Zeit zum Üben haben. Dennoch sind sie doch freiwillig dabei, weil sie gerne proben und zusammen mit anderen Menschen Musik machen wollen. Daher kann man wirklich auch feilen und schauen, was sich da entwickelt. Die Werke können reifen und das Herzblut, das drinsteckt, entschädigt für mögliche Ausrutscher.  

Immer ein Auge in den Noten und eins beim Dirigenten! (Bildrechte: MBO)
Immer ein Auge in den Noten und eins beim Dirigenten! (Bildrechte: MBO)

Du legst in den Proben immer großen Wert darauf, dass wir mit unserem Blick nicht in den Noten kleben, sondern bei Dir als Dirigent sind. Weil das die Voraussetzung ist, dass wir das, was Du anzeigst, als gemeinsamer Klangkörper umsetzen können. Was erwartest Du noch von Deinen Musikern?

Am Wichtigsten ist mir, dass die Musiker ihren Spaß an der Musik nicht verlieren! Ich erwarte aber auch, dass die Musiker ein Werk, zu dem sie erst einmal gar keinen Zugang haben, als Herausforderung sehen (aktuell: Smetana Fanfare/Karel Husa) und sich mit einer gewissen Offenheit auf so ein Werk einlassen. Und ich wünsche mir, dass sie, auch wenn mal etwas zu schwer scheint, trotzdem bis zum Ende dranbleiben. Kurz vor dem Konzert kann man immer noch sagen: „Ich schaffe das nicht, kann das jemand anderes spielen?“ Auch wenn zum Beispiel ein Solo mal nicht so gut funktioniert: wenn der Musiker das spielen will und dafür geübt hat, dann finde ich das toll! Die Bereitschaft, Zeit ins Instrument zu investieren drückt zum einen den Willen aus, weiter zu kommen, und zum anderen den Respekt für das Werk und die Mitspieler. Außerdem erwarte ich selbstverständlich möglichst oft eine volle Besetzung bei den Proben. Aber da habe ich beim MBO keine Sorge, dass das zum Problem werden könnte. 

 

Wir Musiker müssen ja nur jeweils unsere eigene Stimme lesen. Du musst in Deiner Partitur alle vorhandenen Stimmen gleichzeitig überblicken. Wie machst Du das?

Durch Vorbereitung. Man hat erstmal eine Partitur und weiß noch nicht, wie es klingt. Da gehe ich dann von vorne nach hinten durch und versuche, mir ein Klangbild zu machen, zum Beispiel am Klavier oder auch mal anhand von Aufnahmen, um einen groben Überblick zu bekommen. Viele Stücke habe ich irgendwo mal als Musiker oder Dozent oder Zuhörer kennengelernt, und dann ist schon mal eine gewisse Hörerinnerung da. Ansonsten ist es immer wieder ein Schauen in die Partitur, ein sich Zurechtfinden, ein Vorstellen, wie es klingt. 

In der Probe muss ich dann abgleichen, wie die eigene Klangvorstellung mit dem zusammenpasst, was dann tatsächlich klingt. Da werde ich auch manchmal überrascht. Man muss immer offen für alles hineinhören und stellt nicht selten fest, dass gewisse Stimmen mehr in den Vordergrund müssen, die anfangs nebensächlich erscheinen. Ganz spannend fand ich das bei „This Cruel Moon“ von John Mackey, wo eine Thematik und Melodieführung für das Orchester erst klar wurde, als jeder Musiker seinen Platz in dem Stück gefunden hatte. 

 

Nach welchen Kriterien suchst Du die Konzertwerke aus? 

Eine gute Frage. Meist gibt es ein Werk, zu dem ich schon einen Bezug habe, weil ich es schon einmal gehört oder gespielt habe. Ein Werk, das ich als Schlagzeuger kennengelernt habe und welches sehr viel Spaß gemacht hat, weckt den Wusch, es auch als Dirigent gestalten und erleben zu wollen. Ich habe immer so drei bis vier Werke in meinen Kopf, die nur auf den Moment warten, aufgeführt zu werden. Aus diesen Werken ergibt sich meist ein thematischer roter Faden. Dann kann ich in der Richtung weiter schauen, was zum Beispiel stilistisch, historisch oder nach Kompositionsjahr passt. Manchmal lerne ich ein Stück eines Komponisten kennen und beginne dann, mich bei seinen anderen Werken umzuschauen. „The aurora awakes“ hat mich auf John Mackey gebracht und so habe ich gesucht, ob er nicht noch etwas anderes geschrieben hat, was für unser Orchester passt. So bin ich auf „This Cruel Moon“ gestoßen. Wenn das Programm dann größtenteils feststeht, suche ich noch nach Kontrasten.  Sowohl das Publikum als auch das Orchester brauchen Abwechslung.

Bei der Auswahl ist mir wichtig, dass nicht alles nur nach Filmmusik klingt. Dafür ist das Blasorchester zwar prädestiniert, und gerade diese Werke verkaufen sich oft am besten. Hat man aber ein gesamtes Programm nur mit diesen Werken, wird es schnell langweilig.

Wir haben für nächstes Jahr einen Titel auf dem Programm, ich möchte da noch keinen Namen nennen, da werden sämtliche Knöpfe in der Gefühlswelt der Zuhörer gedrückt mit Techniken, die Filmmusikkomponisten gerne verwenden. Der Zuhörer fühlt sich unterbewusst immer in bekannten Situationen wieder und der Gedanke „das kenne ich irgendwo her“ führt nicht selten dazu, dass es eben die „Filmmusik“ ist, die nach dem Konzert hängen geblieben ist. Dem Orchester und dem Publikum tut es immer gut, so ein Werk mit im Konzert dabei zu haben. Aber ich suche auch gerade immer wieder nach dem ein oder anderen Werk, das einfach für sich steht. Wo man als Zuhörer nicht das Bedürfnis hat, sich zu fragen, ob es jetzt um den Vogel geht, der fliegen lernt, oder um den Sprinter, der seine Goldmedaille gewinnt. ;) 

"Musik kann uns helfen, das Zeitgefühl zu verlieren. Diese Momente brauchen wir!" Dominique Civilotti, Dirigent (Bildrechte: MBO)
"Musik kann uns helfen, das Zeitgefühl zu verlieren. Diese Momente brauchen wir!" Dominique Civilotti, Dirigent (Bildrechte: MBO)

Was ist für Dich das Schöne am Dirigieren?

Das Schöne am Dirigieren ist für mich die Entwicklung. Man kommt in die Probe, nimmt sich ein paar Stellen vor und arbeitet daran. Dann spielt man dieselben Takte noch einmal und hört schon eine Verbesserung. Es wird stimmiger. Oder es ist das ein oder andere Aha-Erlebnis bei den Musikern zu hören.  Das finde ich schön. Dann gehe ich aus der Probe und denke: „Yeah, wir schaffen das Stück! Und was heute gelaufen ist, war schon so toll!“  Bis zu dem Moment, in dem dann jeder im Konzert alles gibt und wir einfach ernten, wofür wir sehr lange gearbeitet haben. Mich erfüllt das mit Energie.

Und es ist einfach toll, das Privileg zu haben, eine Position auszuüben, in der alle Klänge zusammenkommen. Der Dirigent hat ja den besten Platz im Konzert. Schon in der ersten, zweiten oder dritten Reihe des Publikums, je nach Saal, ist der Klangeindruck ein ganz anderer. Auch die Musiker können leider nur einen Teil davon erleben, was der Dirigent da vorne genießen darf. 

 

Wann ist für Dich eine Probe gut gelaufen?

Wenn ich glücklich nach Hause gehe und das Gefühl habe, das Orchester geht auch glücklich nach Hause. Da nenne ich jetzt einfach mal ein Beispiel aus einem anderen Orchester. Da gab es mal besonders große Zweifel an einem Stück. Das war ein Stück mit Solist, und ohne diesen wurde der Sinn der Partien für die Musiker nicht ersichtlich. Nachdem dann auf der Arbeitsphase der Solist dazukam, habe ich gemerkt, dass plötzlich viele Musiker anfingen, Melodien aus dem Stück vor sich hin zu singen und zu pfeifen, weil sie jetzt die Zusammenhänge der Komposition erfasst und erlebt haben. Das war für mich ein sehr überraschend glücklicher Moment. 

 

Du hast mal gesagt: „Ich freu mich wie ein Schnitzel auf das Konzert“. Was bedeuten Dir als Dirigent die Auftritte mit Deinen Orchestern?

Ach, und ich dachte, Du fragst, was bedeuten mir Schnitzel… Wenn man lange auf ein Konzert hinarbeitet, das Orchester langsam sieht, wo die Reise hingeht und die Stücke anfangen, über längere Strecken gut zu laufen, dann wünscht sich jedes Orchester diesen Moment, in dem der Dirigent nicht mehr abbrechen darf. Diesen Moment wünscht sich das Orchester, glaube ich, das ganze Jahr über. Aber im Konzert ist dieser Moment dann da, wo alles zählt, und jeder alles gibt. Da kommt eine ganz andere Atmosphäre auf als in der Probe. 

Klar haben wir auch auf Arbeitsphasen schon solche Momente erlebt, zum Beispiel mit der Göttlichen Komödie, wo ich gesagt habe: „So, wir spielen das jetzt vom ersten bis zum letzten Satz durch.“ Und da kam dann auch schon eine gewisse Konzertanspannung zustande. Und als ich den Musikern am Ende des Werks gesagt habe, dass sie jetzt eine halbe Stunde am Stück gespielt haben, haben viele große Augen gemacht, weil sie es geschafft hatten, die Zeit komplett zu vergessen. Musik kann uns helfen, das Zeitgefühl zu verlieren, weil wir so drin sind in dem, was wir tun. Und die Wahrscheinlichkeit dafür ist im Konzert am Größten, weil die Anspannung groß ist und sich wirklich jeder auf das Erlebnis Konzert einlässt, ohne nebenbei noch an die Steuererklärung oder Ähnliches zu denken. Diese Momente brauchen wir!

Außerdem haben wir im Konzert endlich die Möglichkeit, unseren Verwandten, Freunden und anderen Zuhörern zu zeigen, was wir gearbeitet haben. 

Es ist wie immer im Leben: man setzt sich Ziele und möchte diese erreichen. Und wenn man ein Ziel erreicht hat, braucht man ein neues. Dadurch, dass während der Corona-Pandemie kein Konzert in Sicht ist, sinkt bei vielen Vereinen oder Instrumentalschülern die Motivation.  

Im Corona-Sommer 2020 probte das Moderne Blasorchester Oppau mit Dirigent Dominique Civilotti im Freien. (Bildrechte: MBO)
Im Corona-Sommer 2020 probte das Moderne Blasorchester Oppau mit Dirigent Dominique Civilotti im Freien. (Bildrechte: MBO)

Was gibt Dir während der Pandemie mit all den Einschränkungen, Kraft und Motivation?

Zunächst mal die Hoffnung, dass wir bald wieder uneingeschränkt Musik machen können. Und die Angewohnheit, optimistischer zu sein, als es die Lage momentan erlaubt. Ich habe den Weg als Berufsmusiker gewählt, weil ich ihn für mich als richtig empfinde. Auch jetzt, wo im kulturellen Bereich  ein enormes Maß an Frustrationstoleranz gefragt ist und keiner so recht weiß, wann und wie es weiter geht. Im Augenblick ist es das eigene Instrumentalspiel, das mich motiviert. Ich habe jetzt Zeit, etwas einzustudieren, wofür sonst im Alltag kein Freiraum war. Außerdem ist auch mehr Zeit für Literaturrecherche, Partiturstudium und Programmplanung. Gerade durch das Wegfallen der Konzerte ist es wichtig, sich immer neue Ziele zu stecken, die man verfolgen kann.  

 

Was ist für Dich das Besondere am MBO? Ich habe den Eindruck, Du magst dieses Orchester.

Zum Glück hast Du diesen Eindruck! Ich glaube, die Besonderheit des MBO ist, dass es keine Tradition gibt, gegen die wir ankämpfen müssen. Während manche Vereine Auftritte oder Herangehensweisen immer einfach so machen, wie man es bisher gemacht hat, ist die Gründung des MBO das Paradebeispiel dafür, dass es auch anders geht. Der Gründungsgedanke: „Wir machen jetzt etwas ganz Neues“ schwingt auch nach 9 Jahren noch weiter. In diesem Orchester finde ich besonders, dass immer wieder neue Wege und Ansätze ausprobiert werden, um weiter vorwärts zu kommen. Die Stimmung in den Proben ist auch immer durchweg positiv und motiviert. 

 

Ich bin jetzt mit meinen Fragen am Ende. Gibt es noch etwas, was du gerne loswerden würdest?

Den Virus würde ich gerne loswerden! Nein, im Ernst. Ich hoffe, dass wir irgendwann die finanzielle Situation des Vereins so im Griff haben, dass wir nicht jedes Jahr wieder Überlebensängste haben. Das wäre ein Geschenk für dieses Orchester. Für alle, die mitspielen, aber auch für Oppau, fürs Publikum, und für mich. Aber ich bin zuversichtlich, dass wenn es wieder losgeht, wir wieder toll weitermachen können, als wäre nichts gewesen. 

Es ist nicht selbstverständlich, dass sich das Orchester nach der probenfreien Zeit während des ersten Lockdowns nicht zurück entwickelt hat. Ich habe gemerkt, dass die Musiker sich trotzdem weiterhin mit ihrem Instrument beschäftigt haben. Bei vielen hat sogar eine Entwicklung stattgefunden in der Zeit. Da habe ich Hoffnung, dass es so weitergeht. Ich bin jetzt weniger ängstlich, als ich es im März war, was das Musikalische angeht. Was das Finanzielle angeht, wünsche ich mir natürlich, dass wir so bald wie möglich wieder vor Publikum spielen können um auch zu zeigen, dass es sich lohnt, uns finanziell zu unterstützen. 

 

Für viele von uns Musikern ist dieses Orchester sehr wichtig. Es ist etwas ganz anderes, alleine vor sich hin zu üben, oder gemeinsam zu musizieren. Ich kann mich selbst noch so anstrengen und bemühen, ich kann alleine nie einen Orchesterklang produzieren. Es hat seinen eigenen Wert, gemeinsam etwas Schönes zu erschaffen. 

Absolut. Im Grunde kommuniziert man mit Menschen, auch mit denen, mit denen man vielleicht verbal nicht so gut klarkommt, über das Spiel. Selbst wenn es nur ein Duo ist, und man macht ein gemeinsames Ritardando am Schluss, und man merkt, man empfindet das Langsamer-Werden gleich, kommt gemeinsam am Schluss an. Das geht alleine nicht, das geht nur mit anderen. Und das fehlt mir jetzt im Lockdown am meisten.

 

Dominique, vielen Dank für das Interview!